Bis 2022 soll der Anteil der Elektrofahrzeuge bei den Neuzulassungen auf 15 Prozent erhöht werden. Zudem wird eine Umstellung unseres Energiesystems hin zu erneuerbaren Energieträgern angestrebt. Diesen Massnahmen zum Trotz nähern wir uns der Energiewende jedoch nur sehr langsam. Was sind die Gründe dafür? Lohnen sich Investitionen in erneuerbare Energieträger und Elektroautos nicht? Und wie können wir erneuerbare Energien als Konsumenten oder Privatanleger am besten fördern? Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu finden, haben wir Norbert Rücker, Head Economics & Next Generation Research bei Julius Bär, befragt.
PLUG’N ROLL: Zuerst zu den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels – welche Kosten kommen aufgrund der Klimaerwärmung auf die Schweiz zu?
Norbert Rücker (N.R.): Aus ökonomischer Sicht gibt es zwei Aspekte, welche Kosten verursachen: Auf der einen Seite ist dies das unberechenbarere Wetter. Ein Hitzesommer bringt beispielsweise grosse Ernteausfälle und ein milder, schneearmer Winter kann für viele tieferliegende Skigebiete schnell existenzbedrohend sein. Auf der anderen Seite müssen aufgrund der Erderwärmung weltweit die Infrastrukturen angepasst werden. Küstenstädte müssen sich gegen einen steigenden Meeresspiegel wappnen und die Bauern werden gezwungen, ihren Feldfrüchteanbau umzustellen. Solche Anpassungskosten werden auch auf die Schweiz zukommen – beispielsweise durch die Sicherung von Strassen und Häusern vor Erosion und auftauendem Permafrost.
Bietet der Klimawandel auch wirtschaftliche Chancen für die Schweiz?
N.R.: Ja, absolut. Der Klimawandel zieht strukturelle Veränderung mit sich. Das heisst, es werden ganze Industrien umgewälzt. Entsprechend wird es nebst den Verlierern auch immer Gewinner geben. Auch in der Schweiz öffnen sich durch den Klimawandel neue Märkte – dazu gehören die erneuerbaren Energien und die Elektromobilität.
Mit der Energiestrategie 2050 haben wir uns bereits für den Umstieg auf erneuerbaren Energien entschieden. Dieser Wechsel geht im Vergleich zum Ausland jedoch nur schleppend voran. Wie lässt sich das erklären?
N.R.: Es gibt viele Länder, in denen erneuerbare Energien mittlerweile so kostengünstig sind, dass man sie ohne Subventionen produzieren kann. In der Schweiz sind wir aber noch nicht soweit. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits haben wir ganz andere geografische Voraussetzungen. Im Strombereich kann die Schweiz deshalb sehr stark von der umweltfreundlichen und erneuerbaren Wasserkraft profitieren. Anderen erneuerbaren Energiequellen müssen wir zuerst noch richtig ausbauen. Uns bremst aber auch die Tatsache, dass wir keinen liberalisierten Strommarkt haben. Eine Öffnung des Strommarktes wäre wichtig, um Innovationen voranzutreiben. Zudem glaube ich, dass uns unsere eigene Wahrnehmung einschränkt. Denn viele Schweizerinnen und Schweizer denken, dass wir bereits genug für die Umwelt tun. Da geht aber noch viel mehr.
Welche erneuerbaren Energieträger haben in der Schweiz denn das grösste Wachstumspotenzial?
N.R.: Bezüglich Ressourcen haben wir gute Voraussetzungen im Bereich der Solarenergie. Zwar haben wir nicht genügend Nutzungsflächen für grosse Solarfarmen, trotzdem lassen sich Solaranlagen gut in unsere Bauten integrieren. Damit sich Investitionen in die Solarenergie preislich lohnen, muss der selbstproduzierte Solarstrom jedoch günstiger werden, als der Strom, den wir aus den Steckdosen beziehen. Noch sind wir nicht an diesem Punkt angelangt und müssen uns gedulden. Aber Solaranlagen werden mit jedem Jahr effizienter und kostengünstiger, ebenso sinken die Kosten von Batteriespeichern. Künftig wird es also auch in der Schweiz wirtschaftlich Sinn machen, Solardächer zu montieren sowie Strom möglichst selbst zu produzieren und zu verbrauchen.
Und was können wir als Konsumenten zur Energiewende beitragen?
N.R.: Oftmals werden Firmen für den weltweiten CO2-Ausstoss an den Pranger gestellt. Aber fairerweise muss man festhalten, dass Firmen nur Produkte und Dienstleistungen produzieren bzw. anbieten, welche von der Bevölkerung nachgefragt werden. Wir sind demnach zu einem grossen Teil für die CO2-Emissionen mitverantwortlich und können sehr viel zur Energiewende beitragen, indem wir unser Konsumverhalten ändern, unseren eigenen Strommix bestimmen, und entscheiden, ob wir Strom oder Benzin tanken wollen.
Momentan boomt der Markt für sogenannte Nachhaltigkeitsfonds. Bei solchen Geldanlagen werden nebst den klassischen Anlagekriterien Rendite, Risiko und Liquidität auch Kriterien der Nachhaltigkeit berücksichtigt. Sind diese nachhaltigen Anlagestrategien eine gute Möglichkeit, um sich als Privatanleger für den Kampf gegen den Klimawandel einzusetzen?
N.R.: Nachhaltigkeitsfonds wählen Firmen aus, die längerfristig denken und dementsprechend soziale und umweltfreundliche Aspekte berücksichtigen. Wenn man in einen Fond investiert, der nachhaltige Firmen vorselektioniert, dann hat man als Privatanleger sicher ein qualitativ hochwertiges und sicheres Portfolio. Um dem Klimawandel effektiv entgegenzuwirken, sollte man aber besser direkt in umweltfreundliche Projekte investieren – beispielsweise im Bereich der Solarenergie oder Windkraft. Hier besteht jedoch das Problem, dass diese Produkte eher teuer und sehr illiquide sind – nur wenige Anleger können sich dieses Risiko leisten. Aus der Anleger- und Investorenperspektive hat man dementsprechend nur einen begrenzten Einfluss auf die Energiewende.
Eine junge und erfreuliche Entwicklung ist, dass sich die grossen Fondsanbieter immer öfter ihrer Verantwortung als Grossaktionäre besinnen und das Management zu einer nachhaltigen Geschäftstätigkeit bewegen. Wählt man seine börsengehandelten Aktienfonds (Aktien-ETF) auch nach diesem «Engagement»-Kriterium aus, kann man sich als Privatanleger durchaus gegen den Klimawandel einsetzen.
Diese speziellen Fonds entpuppen sich zudem oft als Etikettenschwindel – solche Geldanlagen sind also gar nicht so nachhaltig, wie behauptet wird?
N.R.: Das Problem liegt darin, dass Nachhaltigkeit ein sehr umfangreicher Begriff ist. Die Nachhaltigkeitskriterien für solche Investitionen müssten also zuerst stärker eingegrenzt werden, um Transparenz zu schaffen. Zudem wächst der Markt für solche nachhaltigen Geldanlagen rasant. Daraus ergibt sich die Angst vor Etikettenschwindel. Dieses Risiko herrscht aber überall – auch ausserhalb von Finanzprodukten. Gerade in der Autoindustrie gab es ja erst kürzlich einen grossen Umwelt-Skandal, da wichtige Abgas-Richtlinien nicht richtig eingehalten wurden.
Aber auch Elektrofahrzeuge werden aufgrund der umweltschädlichen Batterie-Herstellung kritisiert. Wie beurteilen Sie aus wirtschaftlicher Sicht denn die Ökobilanz der Elektroautos?
N.R.: Wenn wir unsere Emissionen runterbringen wollen – was der Konsens der Wissenschaft ist – dann werden in Zukunft nur noch Elektroautos herumfahren. Über die Herstellung der Akkus sowie damit verbundene ökologische und soziale Probleme gibt es zwar immer wieder negative Schlagzeilen, aber wenn wir alle Dimensionen der Ökobilanz betrachten – die Produktion, Nutzung, alle soziale Aspekte sowie weitere Abgase, die durch konventionelle Autos entstehen – dann haben Elektroautos schon heute eine bessere Ökobilanz als Benziner. Zudem lassen wir zu oft die Dynamik ausser Acht. Die Ökobilanz der Batterien wird sich in den kommenden Jahren dank den sogenannten «Gigafactories» und Skaleneffekten noch enorm verbessern. Die Förderung von erneuerbaren Energien macht den Strommix sauberer. Diese Dynamik ist klar zugunsten der Ökobilanz des Elektroautos.
Trotzdem entwickelt sich die Elektromobilität in der Schweiz sehr langsam. Sind E-Autos momentan einfach zu teuer?
N.R.: Das ist nur bedingt der Fall. Schon heute sind Elektroautos für die meisten Autofahrer die günstigere Option, was aktuelle Zahlen des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) bestätigen. Die wenigsten machen sich allerdings die Mühe zusätzlich zum Preisschild an der Windschutzscheibe alle Kosten inklusive Unterhalt und Versicherung zu kalkulieren: Wir denken nicht in Kilometerkosten, das sollten wir aber. Die Herausforderung für die E-Mobilität liegt also im Sinneswandel, der interessanterweise relativ schnell vonstattengehen könnte: Viele Ängste, die man allgemein mit E-Autos in Verbindung bringt, wie zum Beispiel die kürzere Reichweite, werden von E-Auto-Lenkern gar nicht empfunden. Dank der Modelloffensive der Hersteller wächst zudem die Auswahl. Die meisten Konsumenten dürften in den nächsten Jahren ein für sie passendes Elektroauto finden. Diese Auswahl und nicht der Preis sind entscheidend für die E-Mobilität.
Wie sehen Sie die Rolle des Staates in Bezug auf die Elektromobilität – brauchen wir Subventionen oder andere Anreizmechanismen für den Durchbruch der E-Autos?
N.R.: Meiner Meinung nach braucht es hierzulande keine Subventionen für Elektroautos. Wir benötigen nur eine Informationstransparenz, um zu verstehen, dass die Gesamtkosten für E-Autos gar nicht so hoch sind. Weitere Herausforderungen sehe ich eher in der Ladeinfrastruktur und der Batterie-Kapazität. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur geht jedoch zügig voran und auch die Energiedichte der Akkus steigt stetig. Der Staat könnte allerdings über Bauvorgaben sicherstellen, dass Gebäude mit Parkplätzen die grobe Infrastruktur für die unkomplizierte Installation einer Ladestation bieten. Der Staat muss sich aber definitiv Gedanken machen, wie der Wegfall der Einnahmen aus der Mineralölsteuer kompensiert werden kann. Es führt kein Weg an Mobility Pricing vorbei.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass Sie in Bezug auf erneuerbare Energien und die Elektromobilität positiv in die Zukunft schauen?
N.R.: Ja, denn der Markt für erneuerbare Energien hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Ich erinnere mich noch genau daran, wie positiv die Prognosen zur Solarenergie vor etwa 10 Jahren waren. Und diese wurden alle übertroffen. Deshalb blicke ich sehr positiv in die Zukunft. Das gleiche gilt für die Elektromobilität. E-Autos sind bereits heute günstiger und umweltfreundlicher als Benziner. In Zukunft werden sie zudem noch komfortabler werden. Gerade die Entwicklung des «wireless-charging» stellt mit Sicherheit einen grossen Katalysator für die Elektromobilität dar. Denn der grösstmögliche Komfort ist für Kunden bei jedem Produkt sehr wichtig: Das einfache, kabellose Laden wird künftig auch bei E-Autos garantiert sein. Der Durchbruch der Elektromobilität wird kommen – die Frage ist nur wie schnell.
Zur Person:
Norbert Rücker absolvierte 2006 seinen Masterabschluss in Management and Economics an der Universität Zürich. Seither ist er für die Privatbank Julius Bär tätig. In seiner Funktion als Head Economics & Next Generation Research analysiert Rücker das Wirtschaftswachstum verschiedener Länder und bildet Prognosen zu deren Entwicklung. Es fasziniert ihn sehr, die strukturellen Veränderungen der Märkte zu beobachten, welche neue Lösungen in Form von Produkten und Dienstleistungen hervorbringen. Neben seiner Tätigkeit engagiert sich Rücker ehrenamtlich im Stiftungsrat der SwissAfrican Foundation und ist im Vorstand des Energie-Clusters.